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Lyrik [deutsch - russisch]

Dezember in Florenz

I

 

Türen atmen ein und atmen aus: Luft und Dampf. Du aber

kehrst hierher nicht zurück, wo zersplittert zu Paaren

die Bevölkerung spaziert am versandeten Arno,

an eine Art Vierfüßler erinnernd. Es schlagen Türen

auf und zu und auf die Straße treten wilde Tiere.

In der Atmosphäre dieser Stadt ist wirklich etwas zu spüren

wie von einem dichten Wald. Es ist eine schöne Stadt,

in der man in einem gewissen Alter einfach den Blick ab-

wendet vom Menschen und den Kragen nach oben klappt.

 

 

II

 

Das Auge blinzelt und versenkt sich in die klamme Dämmerung,

Straßenlaternen schluckend wie Tabletten gegen den Schwund

des Gedächtnisses. Zwei Minuten von der Signoria spielt dumpf

die Lage deines Hauses, selbst nach all den Zeiten,

auf den Grund deiner Verbannung an: Seite an Seite

mit einem Vulkan kann man nicht leben, ohne die Faust zu zeigen

und auch nicht mehr öffnen, wenn du im Sterben liegest

denn der Tod ist immer ein zweites Florenz und dieses

hat die Architektur des Paradieses.

 

 

III

 

Mittags lugen Kätzchen unter die Bänke, ob die Schatten unter ihnen

auch schwarz sind. Auf der Alten Brücke– der man neuen Glanz verliehen –,

dort, wo vor dem Hintergrund blauer Hügeln die Büste Cellinis

posiert, geht der Handel mit manch billigem Geschmeide.

Gluckernd greift Welle um Welle in die Zweige;

Und die Goldlocken der über einer Rarität gebeugten

Schönheit, welche unter den heißhungrigen Blicken von Scharen

junger Händler die Kästchen durchwühlt mit Waren,

sind wie die Spur eines Engels im Reich der Schwarzhaarigen.

 

 

IV

 

Der Mensch verwandelt sich in das Geräusch einer Feder, in Schleifen,

Kringeln, Keilformen von Buchstaben und weil es glatt ist, bisweilen

in Kommata und Punkte. Man stelle sich vor: in wieviel Zeilen

und gewöhnlichen Wörtern die Feder ein „M“ findet,

entgleitet und in hochgezogene Augenbrauen mündet.

Das bedeutet, noch ehrlicher als Blut ist Tinte

und in der Dunkelheit, die Worte nach außen versiert,

weil es so schneller Feuchtigkeit verliert,

lacht ein Gesicht wie zerknülltes Papier.

 

 

V

 

An einen stillstehenden Zug erinnern die Uferstraßen.

Häuser sind zu sehen, die ab der Taille aus der Erde ragen.

Nachdem er sich in die feuchte Mundhöhle des Torbogens wagte,

geht der Körper im Mantel entlang zerbröselnder

flacher, ausgebrochener Zähne im gemächlichen

Schritt zum entzündeten Gaumen hoch mit seiner ewigen,

rauhen „16“; die Klingel bleibt erschreckend reglos,

erzeugt am Ende ein knirschendes „prego, prego“:

zwei alte Ziffern „8“ öffnen und belagern euch endlos.

 

 

VI

 

Ein verstaubtes Kaffee. Das durch die Mütze schattig verdeckte

Auge gewöhnt sich an Nymphen, Amuren, den Stuck der Decke;

Den Mangel an Terzinen spürt, im Käfig steckend,

ein altersschwacher Stieglitz und stößt seine Triller hervor.

Ein Sonnenstrahl zerschlägt sich an einem Palazzo,

an der Kuppel des Domes, der Ruhestätte Lorenzos,

und durchdringt den Vorhang, erwärmt die Venen

des schmutzigen Marmors, den Blumenkübel mit Verbenen;

und aus Ravennas Drähten steigen des Stieglitz Töne.

 

 

VII

 

Dampf ausatmend, Luft einatmend, öffnen und schließen

sich die Türen in Florenz. Ob du nur an dieses

oder an ein zweites Leben glaubst (je nach Devise),

zumindest im ersten erkennst du abends: es ist nicht wahr,

daß die Liebe die Sterne bewegt (oder Luna), sintemal

sie alle Dinge durch zwei dividiert. Sogar

das Geld im Traum. Sogar, in der Muße, die Gedanken

an den Tod. Würden sie ihren Lauf der Liebe verdanken,

bewegten sich die Sterne des Südens fort voneinander.

 

 

VIII

 

Das steinerne Nest wird betäubt durch quietschendes Lärmen

von Bremsen. Der Versuch, den Asphalt zu überqueren,

könnte in einer blutigen Lache enden. Unter dem schweren

Dezemberhimmel entlockt das Riesenei, von Brunelleschi

gelegt, der Pupille eine Träne, erfahren mit glänzig

blendenden Kuppeln. Wie der Buchstabe X sieht

ein Verkehrspolizist aus, während sich die Arme heben.

Von der Teuerungsrate schrillen Lautsprecherreden.

Oh, unvermeidlich hinkender Versfuß in „Leben“.

 

 

IX

 

Es gibt Städte, in die man nicht zurückkehren kann.

Die Sonne schlägt an ihre Fenster, wie ein Kopf an die Wand.

Das heißt, daß man für kein Gold in ihr Inneres gelangt.

Dort gibt es immer einen Fluß, der unter sechs Brücken fließt.

Und Orte, wo man mit den Lippen einen Abdruck hinterließ

auf Lippen und mit der Feder auf dem weißen Vlies

von Blättern. Dort flimmern Kolonnaden, eherne Ungeheuer am Ufer;

Dort spricht die Menge in der Tram, dicht gedrängt bis zu die Stufen,

in der Sprache eines Menschen, der von dort längst abberufen.

 

 

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